Name

Videoübertragung zur Gruppenkommunikation

Pattern-Kategorisierung

Kommunikation

Datum

Erstellungsdatum: 13.02.2003

Version

Version 2.0 (Grundlage Version 1.0)

Status

Endfassung (13.09.03)

Autor

Dr. Andreas Weber

Kurzbeschreibung

Bei Kooperationen zwischen Hochschulen tritt häufig das Bedürfnis auf, aktuelle Situationen zu besprechen. Dabei kann es organisatorisch schwierig werden, die Beteiligten im gebotenen Zeitrahmen an einem Ort zu einem Gespräch zusammen zu bringen. In solchen Fällen bietet sich eine videounterstützte Gruppendiskussion an.

Zielsetzungen, didaktische Motivation

  • über technisch vermittelte Sprache und Bilder/Video eine möglichst authentische Diskussionssituation zu schaffen.

  • Durch die in heutigen vernetzten Arbeitsumgebungen ad hoc verfügbaren Möglichkeiten der Videokonferenz auf niedrigem Qualitätsniveau wird es örtlich verteilten Arbeitsgruppen leichter und häufiger ermöglicht, ihre gemeinsame Arbeit optimal abzustimmen. Widerstände bezüglich finanzieller (Reisekosten) und zeitlicher (Hin- und Rückreise) Ressourcen verlieren ihre Relevanz.

  • Eine problemorientierte Auseinandersetzung mit dem Thema, Interaktivität, Empathie, Teamfähigkeit, Toleranz, diskursiv orientierte Problemlösungsstrategien und zielorientiert kontrollierte gruppendynamische Prozesse werden ermöglicht und gefördert.

Empfehlungen zum Einsatz

  • Gruppendiskussionen mit Video-Übertragung lassen sich generell bei Projektarbeiten örtlich getrennter Gruppen, aber auch bei „blended learning arrangements“ einbinden.

  • Vor dem ersten produktiven Einsatz sollten die Beteiligten sich möglichst persönlich gegenseitig kennen lernen. Außerdem sollten sie sich im Vorfeld schon mit der eingesetzten Technik (Computer, Kommunikationssoftware, Webcam, Internet, ...) vertraut gemacht haben.

  • Ad-hoc-Gruppendiskussionen mit Videounterstützung können bei geringem technischen Aufwand nur als Punkt-zu-Punkt-Kommunikation zwischen zwei Arbeitsplatzcomputern realisiert werden. Damit können sich zwischen zwei Standorten nur jeweils eine Gruppe mit einer anderen unterhalten.
    Bei kleinen Gruppen (bis ca. 5 Personen) kann sich jeweils die ganze Gruppe direkt beteiligen.
    Für größere Arbeitsgruppen ist es ratsam, dass nur die Gruppensprecher direkt kommunizieren und die jeweiligen Gruppenbeiträge als Moderatoren weitergeben.

  • Parallel sollte vor und während der Videokonferenz ein zusätzlicher Kommunikationskanal (Chat oder E-Mail) etabliert werden, über den zur Eröffnung der Videokonferenz die jeweiligen IP-Adressen ausgetauscht und während der Konferenz bei auftretenden technischen Problemen eine Kommunikation zur Problemlösung aufgenommen werden kann.

  • Zielgruppen sind alle Lehrenden und Studierenden, die in ortsunabhängigen virtuellen Arbeitsgruppen zusammenarbeiten wollen. Durch Aufstellung und Einübung gemeinsamer Regeln (nicht mehrere gleichzeitig reden, ausreden lassen, Gruppenmeinungen bilden und kommunizieren usw.) können auch Lehrende und Studierende mit wenig Vorerfahrung gewinnbringend online über Videokonferenz gemeinsam diskutieren.

  • Der Zeitaufwand für eine Durchführung entspricht der vorgesehenen Diskussionszeit zuzüglich einer technischen Vor- und Nachbereitungszeit von 10 bis 30 Minuten je nach technischer Expertise und Güte der einmaligen Grundinstallation und Konfiguration von Soft- und Hardware für die Video- und Sprachübertragung. Damit kann bei den genannten technischen Voraussetzungen jederzeit eine videounterstützte überörtliche Gruppendiskussion eingeleitet werden.

Durchführung

Vorbereitung

  • Notwendig ist zunächst eine einmalige technische Grundvorbereitung. Dabei wird eine Webcam mit den zugehörigen Software-Treibern installiert. Vorzugweise sollte ein Anschluss am USB-Port erfolgen, da solche Webcams am einfachsten zu handhaben sind. Ebenfalls einmalig muss eine Kollaborationssoftware wie z.B. Netmeeting installiert und konfiguriert werden.

  • Spätere Vorbereitungen beschränken sich dann weitgehend nur noch auf die genaue Terminvereinbarung für die synchrone Videokommunikation. Webcam und Kopfhörer-Mikrofon-Set sollten von Beginn der überörtlichen Zusammenarbeit an entweder ständig einsatzbereit angeschlossen oder mindestens schnell greifbar sein. Die nötige Software muss fertig konfiguriert auf den Arbeitsstationen aufgespielt und die nötigen Kommunikationskanäle (Ports) freigeschaltet sein.

  • Vor einem erfolgreichen Einsatz einer videounterstützten überörtlichen Diskussion müssen natürlich die üblichen Vorbereitungen wie für eine klassische Diskussion im Seminarraum getroffen werden.

Aus Sicherheitsgründen wird von manchen Providern die Anzahl der zur Verfügung stehenden Kommunikationsports beschränkt. Dies kann möglicherweise eine Videokommunikation über Internet mit Kollaborationssoftware beeinträchtigen. Deshalb sollte nach der Erstinstallation sofort der Kontakt mit möglichen Diskussionspartnern aufgenommen werden, um die Verfügbarkeit der notwendigen Ports zu prüfen. Wichtig ist dabei auch, dass jede Seite einen Anrufversuch startet, um die Freischaltung bidirektional zu testen. Sollten ein- oder zweiseitige Probleme auftreten, muss jeweils der Angerufene bei seinem Provider die Portfreigabe veranlassen.

Danach beschränkt sich die Vorbereitung auf einzelne Einsätze auf das Einstecken der Webcam am USB-Port und das Starten des Kollaborationsprogramms. Per Chat oder E-Mail müssen dann nur noch die aktuellen IP- Adressen ausgetauscht und der Anruf gestartet werden.

Wenn Gruppensprecher als Moderatoren mit Headset die Diskussion führen, gibt es keine Tonprobleme. Sobald aber die Gruppen über Mikrofone und Lautsprecher direkt kommunizieren, treten bei solch einfachen Anordnungen Echo-Effekte auf. Um diese zu vermeiden, muss ein Gruppenmitglied auf jeder Seite per Mausklick Mikrofon und Lautsprecher ein- und ausschalten. Die Gruppe mit dem aktuellen Redebeitrag bekommt das Mikrofon freigeschaltet, nicht jedoch die Lautsprecher, die zuhörende Gruppe hat umgekehrt die Lautsprecher freigeschaltet, jedoch nicht das Mikrofon. Als indirekter Effekt ergibt sich dadurch automatisch eine disziplinierte Diskussionsform.

 

Die Gruppenmitglieder müssen sich über den Projektstand und die zu diskutierenden Punkte im Vorfeld ausführlich informieren. Dazu gehören auch Vorabentwürfe zur Projektweiterführung bzw. mögliche Lösungsvorschläge für die anstehenden Diskussionspunkte. Gut ist es auch, wenn innerhalb der örtlichen Teilgruppen die Rollen klar verteilt sind (technischer Bereich, sozio-humanistischer Bereich usw.). Damit sind die Bereichsexperten im Diskussionsprozess eindeutig ansprechbar und können mit ihrer besonderen Expertise gezielt die Lösungsprozesse weiterführen.

Parallel zur ortsübergreifenden Diskussion sollte genauso wie bei herkömmlichen Gesprächskreisen mitprotokolliert werden. Insbesondere vereinbarte Teillösungen, Termine, Verantwortlichkeiten usw. müssen festgehalten werden. Dies kann entweder verteilt in einem gemeinsam geöffneten Chatkanal erfolgen, dessen Eintragungen nach Diskussionsende auf jeder Beteiligungsseite abgespeichert werden oder in einem gemeinsamen Protokoll mit einem Textverarbeitungsprogramm per Filesharing, das auf einer Seite abgespeichert und per Dateiaustausch der anderen Seite zur Verfügung gestellt werden kann. Als weitere Dokumentationsart kommt auch ein Videomitschnitt in Betracht.

Günstig ist, wenn die Zusammenarbeit auch gleichzeitig über eine Groupware oder ein Lern-Management-System unterstützt wird.

Inszenierung

  • Der Projektverantwortliche bzw. Lehrende ist zunächst organisatorisch gefordert. Die Implementierung videounterstützter Kommunikation zwischen verschiedenen Standorten bedingt eine gemeinsame Abstimmung in den Projektteilgruppen bzw. verteilten Lerngruppen. Die Aufgabenverteilung muss klar sein und über Meilensteine muss eine Synchronisierung der Teilarbeiten hergestellt werden, damit an den Gelenkstellen solcher übergreifender Videodiskussionen sowohl vom Arbeitsstand als auch von den Vorbereitungen her eine gemeinsame Abstimmung erfolgversprechend ist. Im Vorfeld werden die anstehenden Besprechungsthemen ausgelotet und nach der Sammlung zur schwerpunktmäßigen Vorbereitung verantwortlich auf bestimmte Personen der Projekt- oder Arbeitsgruppen verteilt. Diese Experten führen die Diskussion in ihren jeweiligen Schwerpunkten, wobei Projektleiter bzw. Lehrende die Gesamtleitung behalten. Es muss weiterhin klar geregelt sein, wie und von welchen Beteiligten die Protokolle erstellt werden und wer die Technik bedient.

    Dann werden die Videokonferenztermine festgelegt und von technisch orientierten Beteiligten 10 Minuten vorher ausprobiert.

    Die Diskussionsleiter eröffnen das Gespräch und legen nochmals die Gesprächsregeln und die zu bearbeitende Agenda offen. Danach werden in der vereinbarten Reihenfolge die Einzelthemen von den Beteiligten diskutiert und nach den vereinbarten Regeln protokolliert. Abschließend erfolgt nochmals eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Ausblick auf die weitere Arbeit durch die Diskussionsleitung.

Einbindung
in den Seminarkontext

Videounterstützte Gruppendiskussionen können jederzeit in verteilten virtuellen Seminaren und Projektveranstaltungen eingebunden werden. Es gelten für einen erfolgreichen Einsatz die gleichen Regeln und Erfolgsfaktoren wie bei herkömmlichen Gruppendiskussionen innerhalb eines Seminar- oder Arbeitsraumes. Der Seminarablauf und die Ziele müssen klar sein, Meilensteine sollten für alle Teilgruppen virtualisierter Seminare der Synchronisation dienen und nur eine gute inhaltliche und organisatorische Vorbereitung solcher Diskussionen verspricht Erfolg.

Im Gegensatz zu Spontandiskussionen innerhalb eines Raumes erfordern standortübergreifende Videokonferenzen vorherige Absprachen. Gleichzeitig erfordert die technologisch vermittelte Diskussion eine erhöhte Gesprächsdisziplin, die üblicherweise aber positive Effekte bezüglich der Güte der Ergebnisse und der Zeiteffizienz bewirkt.


Technische Voraussetzungen

Die Standorte sollten mindestens über DSL ihren Internetzugang herstellen, da darunter die Übertragungsqualität zu schlecht wird. Bei hoher Netzauslastung kann es zu Übertragungsproblemen zunächst bei den Videobildern, dann auch bei der Sprache kommen. In so einem Fall ist es sinnvoll, vorübergehende Engpässe durch ein Einfrieren des Videobildes zu überbrücken und die gesamte zur Verfügung stehende Bandbreite für die Sprache zu nutzen. Im Gegensatz zu einem stehenden Bild ist eine zerkackte Sprache nicht tolerierbar.

Vorzugsweise sollten die Webcams oder Videokameras über USB angeschlossen werden. Dies ist weniger problembehaftet als die Nutzung von Einbaukarten in Desktop-Computern. Außerdem lassen sich dann auch Laptops sehr gut als Kommunikationsplattform nutzen.

Als Kollaborationssoftware eignet sich Netmeeting von Microsoft oder Freeware-Programme mit ähnlichem Nutzenumfang. Steht an einem Standort eine professionelle Videokonferenzanlage mit Internetzugang bereit, kann auch damit der Kontakt hergestellt werden. Allerdings bestimmt das schwächste Glied die Dienstegüte, d.h. der langsamste oder ausgelastetste Internetzugang entscheidet über die technische Kommunikationsqualität.

Sollen mehr als zwei Arbeitsgruppen zusammen per Videokonferenz diskutieren, ist der Einsatz eines Gatekeepers und einer MCU (Multicast Unit) notwendig. In diesem Fall wählen sich die teilnehmenden Gruppen nicht mehr bei einer bestimmten Gruppe ein, sondern beim Gatekeeper über eine spezielle Session-ID. Die jeweils sprechende Gruppe wird dann auf alle zuhörenden Gruppen durchgeschaltet. Damit können alle Gruppen alle Diskussionsbeiträge verfolgen und jederzeit zu allen anderen Gruppen sprechen.

Potenzielle Problemstellen

  • Für technisch vermittelte Gruppendiskussionen müssen Moderatoren und Diskussionsleiter neben ihren herkömmlichen Erfahrungen auch zusätzliche technische Erfahrungen mitbringen. Zusätzlich zur inhaltlichen und gruppendynamischen Leitungsfunktion müssen sie auch im Falle technischer Unzulänglichkeiten Wege kennen, das Problem zu entschärfen und gleichzeitig Ruhe und Gelassenheit auf die Beteiligten auszustrahlen. Deshalb sollten die leitenden Personen im Vorfeld schon mindestens in Testumgebungen einschlägige Erfahrungen sammeln.

    Da niemand gegen einen partiellen Ausfall von Internetverbindungen gefeit ist, müssen immer auch Ausweichszenarien von den Diskussionsleitern vorgedacht werden. Im Ernstfall kann dann die Kommunikation entweder auf Videokonferenz via ISDN-Telekommunikation umgestellt werden oder statt der Videokonferenz eine Telefonkonferenz geschaltet werden. Bei reinen Bandbreitenproblemen kann auch auf einen Chat ausgewichen werden, um doch noch zeitgerecht zu Lösungen zu kommen.

    Die jeder technischen Lösung immanenten Unwägbarkeiten erfordern von allen Beteiligten eine Bereitschaft zu Flexibilität, Offenheit und Improvisationsbereitschaft. Darum muss in der Vorbereitungsphase schon bei allen Beteiligten geworben werden und alle Beteiligten müssen sich in groben Züge mit möglichen Ausweichszenarien in diesem Zusammenhang auseinandersetzen. Nur durch solche Akzeptanzplanung können Frustrationen vermieden werden.

    Wenn eine Internet-Videokonferenz nach Außen nicht zustande kommt, im Inneren aber gut funktioniert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der zuständige Internet-Provider einige notwendige Ports meist ankommend gesperrt hat. Dann ist keine Selbsthilfe möglich und die Freischaltung muss von der angerufenen Gruppe mit dem Provider verhandelt werden. Nutzen die beteiligten Gruppen unterschiedliche Provider, kann manchmal ein Anruf der gesperrten Gruppe bei der vorher erfolglos anrufenden Gruppe doch noch funktionieren. Ausgehend werden Ports selten gesperrt.

Diskussion

Bei der Diskussion von Vor- und Nachteilen der videounterstützten Gruppendiskussion ist können seriös nur alternative Onlinekommunikationen in die Betrachtung einbezogen werden. Herkömmliche Gruppendiskussionen innerhalb eines Raumes in die Betrachtung einzubeziehen ist unzulässig weil für standortübergreifende Betrachtungen irrelevant.

Alle Online-Kommunikationen unterliegen technischen Unwägbarkeiten und sind diesbezüglich in erster Näherung gleichartig zu bewerten. Bei tieferer Betrachtung stellt Videokommunikation jedoch höhere Anforderungen an die Bandbreite der Verbindung. Unterhalb einer gewissen Toleranzschwelle der technischen Kommunikationsgüte ist anzuraten, andere Kommunikationsmöglichkeiten bit geringeren Bandbreitenanforderungen zu wählen.

Steht genügend Bandbreite zur Verfügung, kommt eine videounterstützte Gruppendiskussion im Vergleich mit anderen technisch vermittelten Kommunikationsmöglichkeiten der natürlichen Kommunikation am nächsten.

Darin liegt aber auch ein kleines Problem: Während z.B. im Chat eine Reduktion der Kommunikation auf Schrift erfolgt und damit einen hohen Abstraktionsgrad erreicht, bildet eine Videokommunikation die Situation der beteiligten fast wie in der Realität ab. Bei hoher Abstraktion können sich Beteiligte leichter auf eine ungewohnte technisch vermittelte Kommunikation einlassen als bei einer Pseudorealistischen Situation. Hier ist einerseits die Distanz und Mittelbarkeit durch den Technologieeinsatz gegeben, andererseits präsentieren sich die Beteiligten in ihrer ganzen Person mit Mimik und Sprache, ohne jedoch die Situation unmittelbar im Griff zu haben. Das kostet persönliche Überwindung, ehe man unbefangen damit umgehen kann. Deshalb sollten Videokonferenzneulinge vorab Gelegenheit erhalten, die Technologie mit vertrauten Personen auszutesten und Hemmungen abzubauen.

Mindestens für die technische Tonsteuerung zur Echounterdrückung sollten erfahrene Beteiligte zur Verfügung stellen. Alternativ kann dies auch durch Diskussionsleiter mit entsprechenden Vorerfahrungen erledigt werden.

Konkretes Beispiel

Im Rahmen eines interdisziplinären Seminars zur Entwicklung einer Online-Zeitung für Studierende wurden im Sommersemester 2002 standortübergreifende Redaktionsteams (PH Ludwigsburg – PH Schwäbisch Gmünd) gebildet. Die Teams entwickelten für ihr jeweiliges Ressort Fachartikel. Im Rahmen der Zusammenarbeit wurden mehrere Ressortkonferenzen in Form von videounterstützten Gruppendiskussionen abgehalten.

Referenzen

Dittler, Ullrich (Hrsg.), 2002: E-Learning. Erfolgsfaktoren und Einsatzkonzepte mit interaktiven Medien. München, Wien: Oldenbourg-Verlag