Name

Moderierter Experten-Chat

Pattern-Kategorisierung

Kommunikation

Datum

Erstellungsdatum: 21.11.02 

Version

Version 2.0 (Grundlage Version 1.0)

Status

Endfassung (11.09.03)

Autor

Gabriela Baum, TP 2.4

Kurzbeschreibung

Häufig treten in Hochschulseminaren kurzfristig Wissensdefizite zu bestimmten Themen auf, die üblicherweise durch Literaturstudien oder Recherchen im WWW ausgeglichen werden. Die Gelegenheit, Experten persönlich zu befragen, um sich inhaltlich und fachlich Klarheit zu verschaffen, kann jedoch selten genutzt werden, da Experten oft nicht vor Ort greifbar sind. Durch die Nutzung neuer IuK-Technologien besteht nun die Möglichkeit Experten via Videokonferenz (vgl. Pattern Tele-Teaching) oder Chat zu bestimmten Themenbereichen direkt zu befragen. Anlass für einen Experten-Chat sollte das Vorliegen eines genau definierbaren Informationsbedürfnisses sein.

Zielsetzungen, didaktische Motivation

  • nicht irgendeine, sondern eine ganz spezielle Expertenauskunft einzuholen.

  • vertiefte und problemorientierte Auseinandersetzung mit dem Seminarthema

  • Förderung der Kommunikation der Seminarteilnehmer untereinander

  • Im Unterschied zu reinen Literaturrecherchen bietet ein Experten-Chat Interaktivität (synchrone Kommunikation) und eröffnet eine andere oder neuartige Perspektive auf das Thema

Empfehlungen zum Einsatz

Günstig erscheint die Einbindung eines Experten-Chats  in "Blended Learning Arrangements", die durch regelmäßig stattfindende Präsenzsitzungen und in das Seminargeschehen integrierte IuK-Tools (LMS, Groupware, Forum...) den organisatorischen Vor- und Nachbereitungsaufwand relativ gering halten können.

In reinen Präsenzveranstaltungen ist der technische Aufwand ungleich höher einzuschätzen (abhängig von der Verfügbarkeit von Computern und der Kompetenz im Umgang mit IuK-Technologien;  vgl. Durchführung) und weniger zu empfehlen.

In rein virtuellen Settings liegt der Aufwand für die Vorbereitung eines Experten-Chats hauptsächlich auf der organisatorischen Ebene, weshalb in diesem Falle mit einer längeren Vorlaufzeit für Absprachen etc. gerechnet werden muss.

Bei kleinen Seminargruppen (6-8 Teilnehmer + Moderator) können alle Teilnehmer gleichzeitig im Chatraum anwesend sein. Bei größeren Gruppen ist es sinnvoll, vorab Arbeitsgruppen zu bilden, die jeweils durch einen Vertreter im Chat repräsentiert werden. Die Abstimmung der Gruppenmitglieder untereinander kann dann entweder face-to-face oder in einem parallel eröffneten Chatkanal ("Meta-Kanal") bewerkstelligt werden. Die maximal empfohlene Gruppengröße liegt bei 30 Teilnehmern (die dann in ca. 8 Gruppen aufzuteilen wären).

Zielgruppe sind alle Studierenden, die bereits Vorerfahrungen mit dem Einsatz von moderierten und themengeleiteten Chats haben. Durch die Aufstellung und Einübung gemeinsamer Regeln (Anmeldung im Chat mit Vor- und Nachnamen, Statements des Moderators haben Vorrang, alle Teilnehmenden ausreden lassen usw.) können aber selbst Studierende mit wenig Vorerfahrung in einer propädeutischen Chatsitzung die benötigten Kompetenzen erwerben.

Der Zeitaufwand für die Durchführung liegt bei jeweils einer Seminarsitzung (1,5 Stunden), der Vorbereitungs- und Nachbereitungsaufwand ist ebenfalls mit je einer Sitzung zu veranschlagen. Es wird daher empfohlen, pro Semester maximal 2 Experten-Chatsitzungen anzustreben.

Durchführung

Kontakt mit dem Experten
Wichtige Voraussetzung ist , mit dem geeigneten Experten in Kontakt zu kommen, und diesen für einen Experten-Chat zu gewinnen (vgl. potentielle Problemstellen).

Vorbereitung der Chatsitzung
 a) Selbststudien zum geplanten Thema des Chats anhand vom Lehrenden empfohlener Literatur ca. 14 Tage vor dem geplanten Experten-Chat.

 b) Zeitgleiche Eröffnung eines (asynchronen) Diskussionsstrangs in einem Diskussionsforum oder in einer Groupware, um die wichtigsten Aspekte und Fragen vorab zu klären und zu sammeln.

 c) Zusammenführung der Fragen und Diskussionsaspekte im Plenum während einer Präsenzsitzung und Absprache hinsichtlich der auf die Teilnehmer aufzuteilenden Statements. Die an den Experten zu richtenden Fragen sollten dabei in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden.

 d) Vorabinformation des Experten über die geplanten Statements des Chats (z.B. als Liste oder Screenshot per E-Mail) spätestens 3-4 Tage vor der geplanten Chatsitzung, damit dieser sich ebenfalls vorbereiten kann. Verfügt der Experte über eine Website, sollte die URL den Seminarteilnehmern bekannt gegeben werden.

 e) Kurzer Techniktest mit dem Experten spätestens wenige Stunden vor der Chatsitzung, besser einige Tage vorher.

Durchführung der Chatsitzung
Am Tag X sollten sich alle Teilnehmer ca. 30 Minuten vor Beginn des Chats im Seminarraum einfinden. Die gegebenenfalls gebildeten Gruppen sollten untereinander bereits alle notwendigen Absprachen getroffen haben. Die vorbereiteten Statementskönnen können nun noch einmal kurz durchgegangen werden. Als sinnvoll hat es sich erwiesen, die vorbereiteten Statements in einen Texteditor einzugeben, um diese dann später per Copy & Paste sukzessive in den Chat einfügen zu können. Nachdem sich alle Teilnehmer im Chat eingefunden haben, sollte sich der Moderator kurz vorstellen und seine Funktion den Teilnehmenden erläutern. Dann ist es zu empfehlen, dem Experten das Wort zu erteilen, der kurz etwas zu seiner Person und seinem wissenschaftlichen Hintergrund sagen sollte. Danach bringen die Teilnehmer oder Teilnehmergruppen ihre Statements nacheinander in den Chat ein und warten jeweils die Antworten des Experten ab, die dann gemeinsam diskutiert werden. Die Reihenfolge der Statements richtet sich nach der Anschlussfähigkeit an das gerade erörterte Thema und kann von der vorher festgelegten Reihenfolge abweichen. Sie wird vom Moderator gesteuert (per Handzeichen, falls er face-to-face anwesend ist oder per Aufforderung an den entsprechenden Teilnehmer: "Ihr Statement bitte Herr xy"). Gegen Ende des Chats gibt der Moderator eine kurze Zusammenfassung der erarbeiteten Ergebnisse und bedankt sich im Namen der Seminarteilnehmer beim Experten für seine Teilnahme.

Protokoll der Chatsitzung
Nach dem Chat sollte ein Protokoll der Chatsitzung unmittelbar an alle Teilnehmer versendet werden (per E-Mail) oder in einem dafür angelegten Ordner der Groupware oder des LMS zum Nachlesen zur Verfügung gestellt werden. Hilfreich für die Archivierung ist es, den Dateinamen des Protokolls mit dem Datum der Sitzung und dem Namen des Experten zu versehen (Bsp.: expertexy_20_5_02.txt). Bietet das Chat-Tool keine automatische Logging-Funktion, sollte während des Chats eigenhändig ein Protokoll erstellt werden (Copy & Paste des Fenster-Inhalts in ein neues Dokument eines gleichzeitig geöffneten Texteditors).

Reflexion
Nach dem Chat ist es empfehlenswert, gemeinsam mit den Studierenden über den Ablauf und die entstandene Diskussion zu reflektieren. Dies kann z.B. durch eine Gruppendiskussion geschehen, es können dabei aber auch Kreativitätstechniken wie MindMapping (vgl. Pattern Virtuelles MindMapping) zum Einsatz kommen. Diese Diskussion kann auch virtuell fortgeführt werden. So kann z.B. ein Diskussionsstrang im Forum oder der Groupware dazu eingerichtet werden. Sinnvollerweise sollte der Experte zu dieser Diskussion eingeladen werden, um eventuell noch offene oder sich neu ergebende Fragen beantworten zu können.

Inszenierung

  • Der Moderator (zumeist der Lehrende) hat in diesem Szenario eine wichtige Funktion, die eher auf der organisatorischen Ebene anzusiedeln ist. In der Vorbereitungsphase führt er die entstehenden Diskussionsstränge zusammen und verdichtet sie gemeinsam mit den Teilnehmern zu Statements, die dann später im Chat an den Experten als Fragen übergeben werden. Während der Chatsitzung übernimmt er hauptsächlich steuernde und koordinierende Aufgaben in bezug auf den Ablauf der Kommunikation und gibt die Rolle des Diskutierenden an den Experten und die Studierenden ab.

  • Die Rolle des Protokollanten kann ein Tutor oder ein vorher bestimmter Teilnehmer einnehmen, was der Entlastung des Moderators dienen kann.

  • Die Studierenden fungieren als Fragende und Impulsgeber und fühlen sich für den geregelten Ablauf des Chats mitverantwortlich.

  • Der Experte ist zugleich Diskutierender und Haupt-Redner (Vortragender) des Settings, da seine "Expertise" Anlass und Mittelpunkt der Veranstaltung ist.

Einbindung
in den Seminarkontext

Da die Einbindung in den Seminarkontext stark von den Inhalten des jeweiligen Seminars abhängig ist, können hierzu keine speziellen Angaben gemacht werden. Wichtig erscheinen jedoch vor- und nachbereitende Lehr-Lern-Handlungen (vgl. oben), damit die Expertenmeinung sinnvoll in den curricularen Kontext eingebettet werden kann. 

Technische Voraussetzungen

Es wird daher empfohlen, erste Versuche mit einem HTML-basierten Chat durchzuführen (gratis erhältlich z.B. bei www.chat4free.de), um die Einstiegshürden (auch für den Experten) gering zu halten.

IRC-Chats sind sind zwar wegen ihrer Features (Passwortschutz, Setzen von Topics, farbliche Markierung von Beiträgen des Moderators, Eröffnen beliebig vieler Zusatzchannels, automatische Protokollierung usw.) für diesen Einsatzzweck besonders gut geeignet. Die technischen Hürden (Zugang zu einem IRC-Server, Installation und Konfiguration von Clientsoftware wie z.B. mIRC) sind aber weitaus höher als bei einem HTML- bzw. Java-basierten Chat, der von jedem Browser aus über den Aufruf einer bestimmten URL zugänglich ist.

Die Veranstaltung sollte in einem Raum mit mehreren Rechnern mit Internetanbindung stattfinden. Wird ein HTML-basierter Chat eingesetzt, muss zumeist die Ausführung von Java ermöglicht werden (Browserkonfiguration). Wird ein IRC-Chat benutzt, ist die Installation und Konfiguration der Clientsoftware erforderlich (vgl. Empfehlungen zum Einsatz).

Potenzielle Problemstellen

  • Auswahl des Experten
    Häufig wird es sich erst nach Ablauf des Chats herausstellen, ob der Experte das Informationsbedürfnis ausreichend befriedigen konnte bzw. ob er der geeignete Experte für das Thema war. Der Recherche nach dem passenden Experten ist daher besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

  • Chaterfahrung des Experten
    Es ist ein Risiko, einen Experten einzuladen, der zum ersten Mal an einer solchen Sitzung teilnimmt. Dies ist genauestens abzuwägen. Notfalls sollte der am zweitbesten geeignete Experte vorgezogen werden, der statt dessen bereits ausreichend Chaterfahrung besitzt.

  • Person des Moderators
    Besitzt der Lehrende keinerlei Chaterfahrung, sollte er nicht zugleich die Moderatorenrolle übernehmen, sondern sich hierfür einen geeigneten Kollegen oder Studenten (Tutor...) suchen.

  • Vorbereitungsphase
    Durch eine sorgfältige Auswahl und Abstimmung der an den Experten zu stellenden Fragen und die rechtzeitige Bekanntmachung der Frageliste kann gewährleistet werden, dass eine ertragreiche Diskussion zustande kommt.

  • In Bezug auf den Ablauf des Chats und die Reihenfolge der geplanten Statements, sollte vorab im Teilnehmerkreis für Bereitschaft zu Flexibilität und Offenheit geworben werden, da ansonsten mit Frustrationen gerechnet werden muss, wenn nicht alles wie geplant verlaufen sollte. 

  • Da eine Steuerung der sich während der Chatsitzung entwickelnden Diskussion letztendlich nicht möglich ist, können überdies unerwartete Verständnisprobleme auftreten, wenn der Experte Fachbegriffe benutzt oder Thesen äußert, die den Seminarteilnehmern (noch) nicht bekannt sind oder nicht mit bereits Bekanntem in Zusammenhang gebracht werden können. Falls diese Verständnisprobleme nicht kurzfristig durch direktes Nachfragen gelöst werden können, sollte die Klärung in die Nachbearbeitungsphase verschoben werden. Anhand des Chatprotokolls können diese Problemstellen später unaufwendig ausfindig gemacht werden.

Diskussion

Bei der Diskussion von Vor- und Nachteilen des Experten-Chats lassen sich vor allem generelle Eigenschaften der Chat-Kommunikation aufführen. Die Kommunikation im Chat ist geprägt durch den schriftlichen Dialog und erfordert ein schnelles Agieren und Reagieren. Die Teilnahme an einem Gruppen-Chat erfordert daher Konzentration und Erfahrung, um dem Kommunikationsfluss folgen zu können.

Verläuft ein Chat positiv (Teilnehmer halten sich an vorab festgelegte Regeln, souveräne Moderation, sachliche Diskussionsbeiträge usw.) kann er einer fruchtbaren Face-to-face-Diskussion gleichen. Ist der Verlauf des Chats eher chaotisch (wegen mangelnder Vorbereitung, fehlender Abstimmung der Beiträge, unsachlicher und störender "Zwischenrufe", unzureichender Akzeptanz der Moderatorenrolle usw.) so kann eine unzufriedene Stimmung entstehen und die Diskussion ins Oberflächliche oder Lächerliche abgleiten.

Verhindert werden kann diese negative Erfahrung nur durch eine effektive Moderation der Chatsitzung und durch den souveränen Umgang der Teilnehmer mit dem Medium.

Häufig kann beobachtet werden, dass ein sachlicher Umgang mit dieser Kommunikationsform erst nach einiger Übung eintritt. Die themengeleitete Chat-Kommunikation sollte daher in Hochschulseminaren gemeinsam eingeübt werden, bevor ein Experte zum Chat gebeten wird.

Konkretes Beispiel

Im Rahmen des interdisziplinären Seminars "Einsatz und Bewertung eines Lernprogramms in der Schule" (Psychologie/Informatik, PH Ludwigsburg, Sommersemester 2002) wurden nach dem beschriebenen Muster zwei Experten-Chats durchgeführt.

Aufgabenstellung für die Seminarteilnehmer war es, eine Software, die der konstruktivistischen Didaktik zugerechnet werden kann, zu evaluieren. Daher wurde ein Experte zum Thema "Konstruktivismus" und "konstruktivistische Lernumgebungen" in den Chat eingeladen. Die Hinweise, die dieser Experte zur Evaluationsplanung gab, führten zur Einladung eines weiteren Experten zum Thema "qualitative Forschungsmethoden".

Beide Chatsitzungen erwiesen sich als sehr ergiebig, da wichtige Tipps zum Evaluationsdesign gegeben wurden und viele Informationslücken geschlossen werden konnten, die durch alleinige Literaturstudien nicht aufzufüllen waren.

Referenzen

Albrecht, Helmut/Baum, Gabriela: Didaktische Maßnahmen zur Unterstützung der Kommunikation und Kooperation in einem teilvirtualisierten hochschulübergreifenden Seminar. In: Thissen, Frank (Hrsg.), 2003: Handbuch Multimedia-Didaktik. Berlin: Springer-Verlag, 11-18.

Jechle, Thomas: Tele-Lernen in der wissenschaftlichen Weiterbildung. In: Dittler, Ullrich (Hrsg.), 2002: E-Learning. Erfolgsfaktoren und Einsatzkonzepte mit interaktiven Medien. München, Wien: Oldenbourg-Verlag, 263-281.